Der Mönch mit dem gälischen Namen Kallech gehörte zum irischen Kloster Bangor. Im Gefolge des berühmten Missionars Columban setzte er ums Jahr 590 aufs Festland über, um in Europa zu missionieren. Dort nannte man ihn alsbald »Gallus«. Nach einigen Jahren der Wanderschaft ließ er sich in der Nähe des Bodensees nieder (in der heutigen Schweiz) und gründete eine Einsiedelei. Dort, in den Bergen, traf er kaum noch Menschen, dafür aber Bären. Nach der Sage freundete er sich mit einem dieser Bären an. Der brachte brav Honig, Forellen und Feuerholz in die Hütte des Einsiedlers.
Andere Eremiten gesellten sich dazu, und ums Jahr 720 entstand hier das Kloster St. Gallen. In dessen Wappen wurde auch der Bär abgemalt.
Zu den Gallener Mönchen gehörten von Anfang an sehr kluge und gebildete Leute (auch Gallus sprach perfekt eine Reihe von Sprachen). So waren die Gallener die ersten, die ganz präzise über neue klösterliche Bau- und Organisationsformen nachdachten. Darüber gab es 814 bei der Klosterreform-Synode in Aachen heftige Diskussionen. Denn der dort vorgelegte »St. Galler Klosterplan« war revolutionär.
Er sah eine vollständige, abgeschlossene, autarke Klosterstadt vor. Einen Teil der Skizzen haben wir hier eingestellt. Geplant waren eine große Kirche, Klausur und Bibliothek, Schule, Hospital und Pilgerherberge, Speisesäle, Schlaftrakte der Mönche, Unterkünfte für die Arbeiter und Handwerker, Gästezimmer für hochgestellte Gäste, Werkstätten, Badehäuser, Latrinen und vieles, vieles andere. Wie in einer selbständigen Stadt sollten alle Bedürfnisse einer großen Gemeinschaft berücksichtigt werden - die landwirtschaftliche Versorgung ebenso wie die medizinische, Wissenschaft und Kunst genauso wie die Erziehung. Wasserkraft sollte Mühlen antreiben und in vielen Bereichen des Handwerks genutzt werden.
Bei der Planung dieser riesigen Anlage wurde viel Mühe auf die Versorgung mit Essen und Trinken verwandt. Bruthäuser fürs Geflügel und Zuchtgehege fürs Vieh waren vorgesehen, drei Bäckereien und fünf Küchen. Auch vier verschiedene Gartentypen waren geplant. Zum erstenmal sollten systematisch Bäume, Sträucher, Blumen und Gemüse nach ihrer natürlichen Ordnung gepflanzt werden. Diesen Gartenplan sollte ein anderes Benediktinerkloster auf der (heute noch durch ihre Gärtnerei berühmten) Insel Reichenau verwirklichen. Wie weit es dazu kam, ist nicht bekannt. Denn alsbald lagen beide Klöster in erbitterter Konkurrenzfehde. Das ging so weit, dass sie sich im Winter 1069 auf dem zugefrorenen Bodensee eine blutige Reiterschlacht lieferten.
Für unser Thema ist wichtig, dass auch drei große Brauereien geplant waren.
Natürlich wurde in den folgenden Jahren nicht alles verwirklicht, was auf dem Plan gezeichnet vorlag. Aber die drei Brauereien nebst einem Getreidespeicher wurden gebaut. Das wissen wir von Abt Ekkehard IV. Der nämlich schrieb ums Jahr 1060 die Geschichte des Klosters: »Casus St. Galli«. Demnach waren die Klosterbiere von St. Gallen fast ebenso berühmt wie der Klostergarten und sein englischer Rasen.
In St. Gallen wurde erstmals in Europa die Bierproduktion in größerem Maßstab aufgenommen. Über 100 Mönche arbeiteten in den Brauereien, dazu eine noch größere Zahl christlicher Schüler.
Jede dieser drei Brauereien braute eine spezielle Bierqualität, aber alle drei hatten einen gemeinsamen Getreidespeicher. Der war in Form eines Kreuzes angelegt, »damit der Segen Gottes immer auf dem Biere liege«.
Im Getreidespeicher wurde auch gedroschen und Grünmalz bereitet. Man brachte das Getreide zum Keimen, indem man es immer wieder mit Wasser besprengte.
Nach dem Keimen kam das Getreide in die Darre, die - mit ihrem steinernen Rauchfang über dem Darrofen - im Brauhaus zweiter Klasse untergebracht war, in dem das »Cervisa« für die Mönche hergestellt wurde. Auch die Malzquetsche, in der das Malz mit zwei großen Mörsern geschrotet wurde, stand dort.
In jedem der drei Brauhäuser gab es sowohl einen Sudraum als auch einen Gär- und Kühlraum. Die Kessel standen auf großen gemauerten Öfen. In ihnen wurde gemaischt und gebraut. Der Sud wurde mit Holzeimern ausgeschöpft, im zweiten Raum zum Auskühlen in flache Holztröge geschüttet und dann in die Gärbottiche geschöpft.
Erstaunlicherweise gab es anfangs keine Lagerräume für das Bier. Die wurden erst im 12. Jahrhundert gebaut. Bis dahin wurde das Bier frisch getrunken, wie es aus dem Gärbottich kam.
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Autor:
Rolf Lohberg (1982)
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